10. Die Bedeutung der Musik im Gottesdienst

Einführung

(Die Orgel, Die Bedeutung des Liedes)

 

 

Hinweis:

Das nächste Kapitel möchte unser Kind in den Gebrauch des Gesangbuches einführen. Es ist zwar üblich, das „Gotteslob“ erst zur Erstkommunion zu schenken, mir scheint es aber sinnvoller, es unserem Kind schon vorher zu schenken, damit es lernt, mit ihm umzugehen und so am Tag der Erstkommunion die hl. Messe aktiv mitzufeiern.

Im Februar 2014 wird das neue „Gotteslob“ in die Buchhandlungen kommen. Ab Advent 2013 wird es in den Kirchen ausgelegt.

 

Das Singen zur Ehre Gottes hat eine solide Basis in der Hl. Schrift:
Vom Siegeslied am Schilfmeer (Ex 15,1ff) über die Psalmen und Hymnen des AT und NT bis hin zur Praxis der christlichen Urgemeinde (1 Kor 14,26) und dem Ausblick auf die Musik in der himmlischen Herrlichkeit (Apk 15,3).

 

Schon der Psalmengesang im AT wurde instrumental gestützt. Seit dem 14. Jahrhundert hat sich bei uns die Orgel durchgesetzt (vgl. Q 4). Sie ist eine geniale Erfindung, denn sie ahmt eine Vielzahl von Instrumenten nach und vereint sie in einem einzigen. Da gibt es Flöten und Harfen, Hörner und Geigen, Schlagzeug und Zimbeln. Damit entspricht sie der Aufforderung des Psalms 57,9.11:

Wach auf, meine Seele! Wacht auf, Harfe und Saitenspiel! Ich will das Morgenrot wecken.
Ich will dich vor den Völkern preisen, Herr, dir vor den Nationen lobsingen.
Denn deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, deine Treue, so weit die Wolken ziehen.

Vgl. Ps 150,1ff:

Lobt Gott in seinem Heiligtum, lobt ihn in seiner gewaltigen Größe!
Lobt ihn mit dem Schall der Hörner, lobt ihn mit Harfe und Zither!
Lobt ihn mit Flöten und Saitenspiel, lobt ihn mit klingenden Zimbeln!

Moderne Orgeln sind mit raffinierter Elektronik ausgestattet und entsprechend teuer. Dennoch werden auch heutzutage nicht selten neue Orgeln angeschafft. (A 3)

Um all die genannten Instrumente nachzuahmen, braucht man Hunderte von Pfeifen. Die neue Orgel der Dionysiuskirche z.B. hat fast 3000 Pfeifen. Die größte ist 5,18 m hoch, die kleinste 8 Millimeter. In eine Orgelpfeife sollte man kein Wasser schütten. Aber wenn man es täte, bräuchte man für die größte Pfeife 420 Liter.

Die kunstvoll angeordneten Pfeifen der vordersten Reihe, der Orgelprospekt,  ergeben ein prächtiges Bild, an dem man auch die Entstehungszeit der Orgel ablesen kann. Am eindeutigsten ist das bei Barockorgeln.

In unserer Zeit bieten zahlreiche großartige Organisten Orgelkonzerte mit hohem Niveau an. Trotzdem ist dies nicht die erste Zweckbestimmung der Orgel, in der Liturgie hat sie eine dienende Funktion: Sie stützt den Gesang der Gläubigen, das Kirchenlied, außerdem führt ein meditatives Orgelspiel die Teilnehmer zu Besinnung und Ruhe.  (A 5)

Wie wenig selbstverständlich Kirchenlied und Gemeindegesang sind, wird deutlich bei einem Vergleich mit dem orthodoxen Islam. Im rituellen Gebetsgottesdienst gibt es weder Instrumente noch Lieder. Allein die Koranrezitation durch einen ausgebildeten Sänger sowie der Gebetsruf des Muezzins sind mit dem orthodoxen Islam vereinbar, nicht aber Instrumente und Volksgesang. (vgl. Q 1) Genaueres dazu: (A 1 und A 2)

Der Grund dafür liegt im unterschiedlichen Gottesbild:
Bereits im Alten Testament „erscheint die Erwählung Israels als Liebesgeschichte Gottes mit seinem Volk. Der Bund wird im Gleichnis von Verlobung und Ehe als Bindung der Liebe Gottes an den Menschen und des Menschen zu Gott ausgelegt. So konnte menschliche Liebe zum Real-Gleichnis für Gottes Handeln in Israel werden.“ (Q 3, S. 121f)

Dagegen ist es nach der Auffassung des orthodoxen Islam wegen der Erhabenheit Gottes dem Menschen nicht erlaubt, seine menschliche Liebe auf Gott zu richten. Das Verbot des (Liebes)Liedes vor Gott ist deshalb konsequent.

Nur die Sufis (Mystiker) denken hier anders. Ihre Sehnsucht ist es, sich Gott in Liebe zu nähern. Die Musik spielt deshalb bei den Sufis auch im Gottesdienst eine zentrale Rolle. (Q 2)

Hier trifft sich die biblische Auffassung mit der sufischen: Religiöse Musik und besonders das Singen kommen „letztlich aus der Liebe heraus. Sie ist es zuallertiefst, die das Singen schafft. „Cantare amantis est“, sagt Augustinus: Singen ist Sache der Liebe.“ (Q 3)

Die liturgische Bewegung des 19./20. Jahrhunderts hat das schliche Kirchenlied wieder zur Geltung gebracht. (A 4) Welchen Reichtum an gewachsenen Volkschorälen die deutschsprachigen Länder haben, kann man bei einem Vergleich mit dem Liedgut der romanischen Ländern studieren. uNSEREN Reichtum verdanken wir ganz wesentlich der Reformation. Insofern ist die Pflege des traditionellen Liedgutes auch ein ökumenisches Anliegen. Denn die Zeiten, in denen katholische Pfarrer die Aufführung von Bach-Werken mit der Begründung verboten, Johann Sebastian Bach sei Protestant gewesen, ist glücklicherweise vorbei.

Andererseits empfinden viele Jugendliche das traditionelle Liedgut häufig als „langweilig“. Dieses Empfinden hat viele Gründe. Ein Grund ist aber sicher, dass ihnen die Schätze des traditionellen Liedgutes zu wenig erschlossen werden.

Es ist nicht möglich, unserem Kind die Welt der traditionellen Choräle in einem Gespräch nahe zu bringen. Das kann nur das allmähliche Vertrautwerden durch den regelmäßigen Besuch des Sonntagsgottesdienstes bewirken.

Dennoch soll hier zumindest ansatzweise versucht werden, eine Brücke zu bauen – in drei Schritten:

  • Zunächst geht es um die Orgel und ihre Technik – eine Betrachtung, die zum  Staunen anregen kann.
  • Ausgehend von der Erfahrung des (gemeinsamen) Singens im Leben des Kindes, wird dann der Sinn und Grund des Singens überhaupt bedacht. Dabei geht es in dieser Einheit zunächst um den Lobpreis. Das Lied als Ausdruck der Liebe wird im nächsten Kapitel thematisiert.
  • Daran schließt sich der Versuch an, durch die Deutung eines Gotteslob-Liedes den Zugang zur Welt der Kirchenlieder beispielhaft zu erschließen.

Eine Ergänzung erfährt diese Bemühung im Kapitel 18 durch die Betrachtung des Textes von Liedern zur Gabenbereitung.

Hinweis:
Nicht jeder Mensch ist hochmusikalisch, und mancher wagt nicht mitzusingen. Wenn unser Kind sich damit schwer tut, kann es das Lied aufschlagen und den Text mitbeten.

 

Anmerkungen

 (A 1) Außerhalb des Gottesdienstes weist die islamische Kultur seit dem 8. Jahrhundert eine große musikalische Vielfalt auf. Das gilt für die weltliche Musik, aber auch für die religiöse, mit zwei Einschränkungen:

  • Es sind insbesondere die Turkvölker, die bis heute das ilahi pflegen, vertonte religiöse Gedichte. Sie kommen aus sufischer Quelle, und bei den Sufis finden sie auch Eingang in den Gottesdienst in Verbindung mit dem dhikr.
  • Die radikalen Wahhabiten dagegen verbieten Musik überhaupt als Erfindung des Satans. Sie beziehen sich dabei auf musikfeindliche Hadithe. Der Koran verbietet die Musik nicht.

(A 2) Aber auch im christlichen Bereich war der Volksgesang und die Verwendung von Instrumenten im 1. Jahrtausend umstritten.
J. Ratzinger nennt in seinem Überblick über die Entwicklung der Kirchenmusik drei Krisenzeiten: Die gnostische Gefahr nach dem Eintritt des Christentums in die griechische Welt, die Verselbstständigung der Musik am Ende des Mittelalters und die Subjektivierung, Verweltlichung und Eitelkeit in bestimmten Ausdrucksformen der Kirchenmusik im 19. Jahrhundert. Jedes Mal sah sich die Kirche genötigt, einzugreifen und die dienende Funktion der Musik im Gottesdienst zu betonen. (Q 3, S. 123ff)

(A 3) Allein in Krefeld sind in den letzten 10 Jahren drei neue Orgeln angeschafft worden.

(A 4) vgl. Romano Guardinis „Programmschrift“ der Liturgischen Bewegung, Vom Geist der Liturgie

(A 5) Damit die Kirche nicht zum Konzertsaal wird, müssten Chor- und Orgelkonzerte eigentlich einen liturgischen Rahmen haben, z.B. in Form einer Orgelvesper wie die Samstags-Motetten in der Thomaskirche in Leipzig oder den Evening-Song in England

 

Quellen

(Q 1) Yves Thoraval, Lexikon der islamischen Kultur, Nikol-Verlag 2005, S. 251 Vgl auch die Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Gegnern hier

(Q 2) „Während Mystiker sehr gerne Musik verwenden, um sich damit Gott anzunähern, ist sie bei Wahhabiten streng verboten.

(Q 3) Joseph Ratzinger / Benedikt XVI., Der Geist der Liturgie, S.122

(Q 4) Orgel-Information