16. Kyrie und Bußakt - Ehrfurcht

Einführung

 

Erstes Kapitel der Reihe zur Eucharistiefeier

Begründung der Auswahl

Mit diesem Kapitel beginnt die Einführung unseres Kommunionkindes in die Eucharistiefeier.

Man könnte nun die einzelnen Phasen der Messfeier der Reihe nach erklären. Hier soll das nicht geschehen aus der Überlegung heraus, dass das Kind unmöglich die Fülle der Riten und Deutungen behalten kann.

Es gilt also auszuwählen – nach welchem Gesichtspunkt?

Zugrunde gelegt wird dasselbe Prinzip, nach dem alle Kapitel angelegt sind: Anschaulichkeit.

Das heißt in diesem Fall:

Wir wählen wesentliche Stationen der Eucharistiefeier, die für das Kind im Ablauf des Geschehens leicht erkennbar sind. Am Ende soll daraus ein kleines Faltblatt, das „Mess-Blatt“, werden, das in der Eucharistiefeier benutzt werden kann. Es soll dem Kind wie eine Art „Fahrplan“ ermöglichen, den Aufbau der Hl. Messe zu durchschauen und mitzuvollziehen.

Wir beginnen mit dem Kyrie, weil dieses Gebet aus sechs Rufen besteht – eine Besonderheit im Ablauf der Hl. Messe, eine Wiederholung, die auch dem Kind nicht entgeht, ein erster Haltepunkt, an dem es sich „festhalten“ kann. Der Bußakt geht ihm unmittelbar voraus bzw. ist in das Kyrie eingearbeitet. (vgl. GL 582.5 und 6 (353.3ff))

 

1. Der Bußakt – Einübung in die Ehrfurcht (A 1)

Der Sinn des Bußaktes kommt in der Einladung zum Ausdruck:

Brüder und Schwestern, damit wir die heiligen Geheimnisse in rechter Weise feiern können, wollen wir bekennen, dass wir gesündigt haben.

Die Bitte um Sündenvergebung wird im Vaterunser, dem „Tischgebet“ vor der

Kommunion, noch einmal aufgenommen. Dazu sagt der hl. Augustinus:

Was wir Unziemliches getan haben, wird „getilgt durch das Gebet des Herrn an der Stelle: Vergib uns unsere Schuld, damit wir beruhigt hinzutreten und wir nicht das, was wir empfangen, uns zum Gericht essen und trinken.“ (Q 1)

Der Bußakt hat allerdings eine etwas problematische Geschichte.

Vorformen gibt es bereits seit dem frühen Mittelalter, aber sehr bald hat sich dann eine Entwicklung ergeben, bei der aufgrund einer nahezu pathologischen Sündenangst der Empfang der Kommunion fast ganz eingestellt und durch das anbetende Schauen ersetzt wurde. Die Furcht wurde übergroß, sich durch den Empfang der Kommunion die ewige Verdammnis zuzuziehen.

Mein Großvater war in religiösen Dingen sehr gewissenhaft. Er pflegte nur einmal im Jahr zur Kommunion zu gehen, und auch das nur, nachdem er am Vorabend gebeichtet hatte. Wenn er dann von der Beichte nach Hause kam, sprach er mit Frau und Kindern kein Wort mehr, sondern schloss sich in seinem Zimmer ein, um bis zum nächsten Morgen nicht durch ein unbedachtes Wort zu sündigen. Er hätte dann die Kommunion nicht empfangen dürfen.

Das ist nun heute wirklich nicht mehr unser Problem. Stattdessen müsste der Ernst neu bewusst gemacht werden, der aus den Worten des Apostels Paulus spricht:

Denn wer davon isst und trinkt, ohne zu unterscheiden, dass es der Leib des Herrn ist, der zieht sich das Gericht zu...“ (1 Kor 11,23-29)

Der Liturgiewissenschaftler M. Kunzler kommentiert diese Worte so:

„Wer in der Messfeier nach vorne geht, um zu kommunizieren, muss wissen, was er tut... Das Kommunizieren ist eine Begegnung zwischen lebendigen Personen. Und wie man schon im Umgang und in der Begegnung mit Menschen versagen, ja sich versündigen kann, so gilt das auch für die Begegnung zwischen Mensch und Gott... Es gibt die Möglichkeit, unwürdig zu kommunizieren... Wer den Leib Christi empfängt wie einen Keks, wer aus dem Kelch trinkt wie bei einer fröhlichen Runde aus dem Pokal, der zieht sich die Verdammnis zu, weil er den Sohn Gottes, der sich aus Liebe zu ihm hingegeben hat am Kreuz und jetzt in der Kommunion hingibt, in furchtbarer Weise missbraucht und seine Liebe verrät!“ (Q 2)

Wohlgemerkt, dies ist ein Wort an Erwachsene. Es geht nicht darum, Kinder zu verurteilen, die sich nicht entsprechend benehmen. Die Gründe für ihr Verhalten sind vielfältig und größtenteils nicht von ihnen zu verantworten. Aber es geht sehr wohl um die Würde des Sakraments und den dringenden Versuch, die Unterscheidung neu zu lernen, die der Apostel Paulus fordert.

Und vor allem „ist der Empfang der Eucharistie auch ein Heilmittel gegen die alltäglichen Sünden und Schwächen; Christus hat sie ja für uns schwache Menschen als Heilmittel eingesetzt und nicht als Preis für die besonders Tugendhaften.“ (Q 3)

In einer Gesellschaft, die nicht an Gott glaubt, darf es keine Schuld geben. Denn es ist niemand da, der die Schuld vergeben könnte. Man kann sie bestenfalls weginterpretieren, für das Fehlverhalten Gründe in der Vergangenheit suchen und den Eindruck vermitteln, dass der Gesprächspartner für seine Tat nicht verantwortlich ist nach dem Motto: Du konntest ja gar nicht anders handeln. In banaler Form bringt das der Karnevalsschlager zum Ausdruck:  „Wir kommen alle, alle, alle in den Himmel, weil wir so brav sind...“

Aber ist nicht in unserer Rechtsprechung durchaus von Schuld die Rede?

Mir erzählte ein Gefängnisseelsorger, dass eines Tages nach der Eucharistiefeier ein Häftling zu ihm kam und ihm dankte. Er dankte für die Predigt, in welcher der Seelsorger von der Vergebungsbereitschaft Gottes gesprochen und in diesem Zusammenhang gesagt hatte: Ihr habt wirklich Schuld auf Euch geladen!

„Wir hören hier immer, es sei verständlich, dass wir bei dem Milieu, aus dem wir kommen, auf die schiefe Bahn geraten sind. So nimmt man uns unsere Würde! Sie aber haben gesagt, dass wir wirklich schuldig sind. Ich danke Ihnen: Sie haben uns die Würde wiedergegeben!“

Und so ist trotz der problematischen Vorgeschichte der Bußakt ein Anlass für uns, seiner ursprünglichen Intention zu folgen und zu fragen: Wie bereiten wir uns in angemessener Weise auf das heilige Geschehen vor? Wie können wir unsere Kinder zu der Ehrfurcht hinführen, die der Eucharistie gebührt?

Eine Möglichkeit: Das Nüchternheitsgebot in moderner Form

Es gibt wohl kein Kirchengebot, das so gründlich missverstanden worden ist und zu so skurrilen Auslegungen geführt hat wie das Nüchternheitsgebot. Die Kasuistik führte nach meiner Erinnerung so weit, dass man sich darüber stritt, wann Mitternacht sei, denn von Mitternacht an war Essen und Trinken verboten. War Mitternacht nun um 24.00 Uhr oder um 0.21 Uhr? Das hätte die Lizenz zum Essen und Trinken immerhin um 21 Minuten verlängert. Ich erinnere mich jedenfalls, dass jemand die Zeit 0.21 Uhr mit dem Hinweis begründete, das sei die astronomische Mitternacht.

Heute kann man kaum noch glauben, dass das erst 50 Jahre her ist. Aber sind wir nicht inzwischen in dem anderen Straßengraben gelandet? Wahrscheinlich ist es nur noch wenigen Katholiken bewusst, dass es immer noch ein  Nüchternheitsgebot gibt. Die Zeit ist lediglich auf eine Stunde vor dem Kommunionempfang verkürzt worden.

Bei einer Diskussion über die mangelnde Ehrfurcht vor der Eucharistie sagte der Inhaber eines Lehrstuhls für Pastoraltheologie, nach seiner Einschätzung sei die Abschaffung des Nüchternheitsgebotes ein ganz entscheidender Grund für den Verlust an Ehrfurcht. Kein Gebot der Kirche habe den Gläubigen trotz aller Fehldeutungen den Unterschied zwischen dem normalen und dem eucharistischen Brot so deutlich gemacht wie dieses.

Es geht mir hier nicht um ein Plädoyer für das alte Nüchternheitsgebot. Aber m.E. sollte man es in moderner Form neu beleben. Dazu möchte Aufgabe 1 anleiten.

 

2. Das Kyrie

Früher bestand das Kyrie aus neun Rufen, das legte eine trinitarische Deutung nahe. Die Beschränkung auf sechs Rufe ist ein Hinweis darauf, dass alle Rufe sich an Jesus Christus, den Kyrios, wenden. Das ist an dieser Stelle der Hl. Messe auch logisch, denn „es ist hier kein Anlass sichtbar für ein trinitarisches Bekenntnis, wohl aber für ein erstes Rufen zu dem, dessen Feier jetzt begangen werden soll und durch den nun das Gebet zu Gott dem Vater emporsteigen soll.“ (Q 4) Dass immer Jesus Christus gemeint ist, zeigt auch folgende Überlegung:

Bei Lesungen aus der Tora sowie in Gebeten lesen unsere älteren Brüder, die Juden, aus Ehrfurcht anstelle des Jahwe-Namens das Wort „Adonai“. (A 2) Das entspricht dem griechischen „Kyrie“ = Herr!

Es ist für Juden und Muslime eine gotteslästerliche Behauptung, Jesus von Nazareth habe sich auf die gleiche Stufe gestellt wie Gott. Doch ist das Zeugnis des NT eindeutig. (A 3)

Die Urkirche hat diesen Anspruch Jesu mit dem Titel Kyrios (Herr) zum Ausdruck gebracht, besonders eindrucksvoll in dem urchristlichen Hymnus des Philipperbriefes (Phil 2,6-11).

Aber wir finden ihn auch schon im Munde des Apostels Petrus, als er über das Wasser geht und zu versinken droht: Herr (kyrie), rette mich!

Das Kyrie eleison - Herr, erbarme dich - ist ursprünglich kein Bittgebet, sondern ein Huldigungsruf. „Schon in vorchristlicher Zeit huldigte man mit dem Kyrie einer Gottheit oder auch dem Herrscher, wenn er in einer Stadt Einzug hielt. Wieso war er ein Huldigungsruf? Wenn man jemanden um sein Erbarmen bittet, dann erkennt man dem so Angerufenen auch die Macht zu, aus der Not erretten und Heil spenden zu können: Wir ehren dich, weil du uns retten kannst.“ (Q 5)

Da Staunen die Mutter der Ehrfurcht ist, nähern wir uns dem Kyrie mit einem Ausflug ins Weltall, um die Größe des Schöpfers bewusst zu machen (Frage 2).

 

Anmerkungen

(A 1) Das Sakrament der Versöhnung wird in einem eigenen Kapitel behandelt.

(A 2) Außerhalb von Lesung und Gebet verwendet man die Umschreibung „Ha-Schem“ = „der Name“.

(A 3) Um nur einige Stellen zu nennen:

Das Johannesevangelium hat in der ihm eigenen Sprache die direktesten Selbstaussagen Jesu:

  •  Ich und der Vater sind eins. (Joh 10,30)
  • Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat. (Joh 12,45)

Aber auch bei den Synoptikern gibt sich Jesus als Sohn Gottes zu erkennen::

  • Im Gleichnis von den bösen Winzern setzt Jesus sich mit dem Sohn des Weinbergbesitzers gleich. (Mk 12,1-12) Und mit dem Weinbergbesitzer ist eindeutig Gott gemeint.
  • Mir ist vom Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will. (Mt 11,27)
  • Als die Kinder im Tempel rufen: Hosanna, dem Sohne Davids! stellen die Hohenpriester ihn zur Rede, und er verteidigt sich, indem er Ps 8,3 auf sich bezieht: Habt ihr nie gelesen: Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge schaffst du dir Lob? (Mt 21,16) Dieser Vers galt im AT aber Gott selbst!

 

Quellen

(Q 1) Kunzler I, S. 229

(Q 2) Kunzler ebd. S. 65f

(Q 3) Kunzler ebd. S. 67

(Q 4) J.A.Jungmann, Der Gottesdienst der Kirche, Innsbruck/Wien/München 1962, S. 124

(Q 5) Kunzler ebd. S. 143